2014 erbte ich das Haus meiner Familie in Welzheim – Gausmannsweiler. Ein wackliges graues renovierungsbedürftiges großes altes Haus. Meine Schwester wollte es auf keinen Fall und in meinem Freundeskreis gab es kaum jemanden, der mir dazu riet, das Haus zu übernehmen. Ich lebte zu diesem Zeitpunkt seit mehr als 30 Jahren in Berlin, doch die Idee, das Haus mit neuem Leben zu füllen, wuchs schon lange in mir - trotz aller gut begründeten Bedenken. Ich war neugierig auf das Haus, seine Geschichte, seine Architektur und seine Bewohner*innen. Mein Freund nannte das Haus eine alte Dame - ein wärmendes und passendes Bild. Zusätzlich zu der alten Dame bekam ich Wald und eine Wiese hinter dem Haus.
Selbstverständlich hat das Haus der eigenen Familie immer auch mit einem selbst zu tun. Schmerzhaftes und Beglückendes, Hinderndes und Stärkendes liegen oft nah beieinander. Deutlich wurde mir jedoch auch, dass die Beschäftigung mit der Geschichte des Hauses und des dazugehörigen Hofes über die eigene Familiengeschichte hinausgeht. Während das Haus vermutlich um 1850 erbaut wurde, ist die Hofstelle vermutlich seit mehr als 400 Jahren in den Händen derselben Familie. 400 Jahre sind eine lange Zeit und so führte mich die Beschäftigung mit dem Haus, der Hofstelle und dem dazugehörigen Wald zu vielen überraschenden Fragen, wie zum Beispiel: Wie entstanden Siedlungen und Fachwerkhäuser? Seit wann gibt es Höfe in Gausmannsweiler? Wie gerecht oder ungerecht ist das System des Vererbens? Welche Bedeutung hat Wald? Warum sterben große alte Buchen an einer Stelle im Wald ab, während andere Buchen etwas weiter entfernt scheinbar gesund bleiben? Wie wirkt sich der Klimawandel konkret auf den Wald aus? Was kann mein Beitrag sein, um den Wald für die Zukunft zu stärken? Wie wird Lehm verarbeitet? Und warum mache ich das eigentlich?
Über die Beschäftigung mit dem Haus, seiner Geschichte und einer möglichen zukünftigen Nutzung begannen Freund*innen mir von ihren Häusern oder ihren nicht vorhanden Häusern zu erzählen. Von einem guten Freund hörte ich zum ersten Mal von dem Familienhaus in Marokko, das keiner aus der Familie so richtig kennt. Ich hörte von dem Kachelboden des abgerissenen Familienhauses eines anderen Freundes in Baalbek im Libanon. Das Haus wurde wegen einer Straße vor vielen Jahren abgerissen, doch auf einer Verkehrsinsel ist der Kachelboden des alten Badezimmers noch erhalten geblieben. Und ich erfuhr, dass die Familien meines Freundes noch nie in eigenen Häusern wohnten und er die Vorstellung von Hausbesitz vollkommen absurd findet. Viele Themenfelder traten durch die Beschäftigung mit dem Haus bereichernd in mein Leben- manche durch den Haupteingang, manche durch die Hintertür und manche schlichen sich heimlich durchs gekippte Fenster hinein.
Lehm- einer der ältesten Baustoffe der Menschheit - wurde natürlich auch in dem alten Fachwerkhaus verbaut.
In alten Häusern im Libanon wurden auch Dächer aus Lehm gemacht, die nach Regengüssen immer direkt gereinigt werden müssen.
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Henk Göbel